Traditionelle Abendländische Medizin
Die Traditionelle Abendländische Medizin (TAM) umfasst eine große Vielzahl an Diagnose- und Therapieverfahren. Sie ist vielleicht etwa vergleichbar mit der Traditionellen Chinesischen Medizin oder Ayurveda, die für die östliche Welt das alte Heilwissen darstellen. Synonym werden auch die Begriffe Traditionelle Europäische Naturheilkunde oder Traditionelle Europäische Medizin verwendet.
Zur Traditionellen Abendländischen Medizin zähle ich:
Pflanzenheilkunde
Homöopathie
Spagyrik
Anthroposophische Medizin
Neben einer gründlichen Anamnese steht die Beobachtung und ausführliche körperliche Untersuchung des Patienten im Vordergrund. Eingesetzt werden folgende Diagnoseverfahren: Antlitzdiagnose, Irisdiagnose, Pulsdiagnose, Harnschau.
Ziel ist es, die Konstitution und die Disposition des Patienten und die daraus resultierenden Folgen zu erkennen. Dem Typus entsprechend wird die Therapie gewählt. In diesem Zusammenhang wird in naturheilkundlicher Tradition, heute natürlich übertragen von den Prinzipien der Säfte gesprochen, deren Ungleichgewicht verschiedenste Krankheiten und Symptome verursachen können. Mit der Therapie soll das schwache Organsystem gestärkt bzw. das überschießende gedämpft werden.
Dies kann beispielsweise erfolgen durch:
- Pflanzenheilkunde
- Tinkturen
- spagyrische Zubereitungen
- Homöopathie
- Anthroposophische Medizin
- Hildegard Medizin
- Schüßler Salze
- Baunscheidtieren, Blutegel, Cantharidenpflaster, Schröpfen
Eine ausgeglichene Lebensweise mit ausreichend Bewegung sowie gesunde Ernährung sind wichtige Bestandteile der Therapie. Über diese Faktoren kann eine zusätzliche Regulation erfolgen.
Wirkweise
Gezielte therapeutische Reize sollen die Selbstheilungskräfte anregen. Dies erfolgt durch eine Aktivierung und Modifizierung des Immunsystems sowie die Aktivierung des Stoffwechsels (sprich: „Entgiftung“). Es geht darum, die individuellen Ressourcen des Patienten zu nutzen. Körper, Geist und Seele, also alle Ebenen des Menschen werden behandelt. Der/Die Patient*in ist aufgefordert, Eigenverantwortung für sich und seine Gesundheit zu übernehmen.
Nur der Vollständigkeit halber, eine Entgiftung im naturheilkundlichen Sinn kennt die evidenzbasierte Medizin nicht, es ist dort die Ausscheidung von Stoffwechselzwischen- und -endprodukten. Als Naturheilkundlerin bleibe ich aber gerne bei dem dort etablierten Begriff.
Die Wurzeln der TAM reichen über tausende Jahre zurück. Hippokrates von Kos (ca. 460 - 375 v. Chr.) schrieb das vorhandene Wissen nieder und entwickelte die Vier-Säfte-Lehre. Sanguis, Phlegma, Gelbgalle und Schwarzgalle verstehen sich als Wirkprinzipien. Sie finden sich auch in den vier Elementen (Luft, Wasser, Feuer, Erde) wieder bzw. spiegeln sich in den vier Konstitutionen: Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker. Der Mensch wird als Mikrokosmos gesehen, in dem sich der Makrokosmos wiederfindet. Diese beeinflussen sich gegenseitig.
Krankheit wird als ein Ungleichgewicht der Säfte verstanden. Galenos von Pergamon (129 - 214 n. Chr.) entwickelte diese Theorien weiter. Er erarbeitete ein eigenes pharmakologisches System. In seine Rezepturen fließt sowohl Wissen aus dem islamischen Kulturkreis als auch aus dem Abendland mit ein.
Weitere Personen, die die TAM wesentlich geprägt und weiterentwickelt haben sind Hildegard von Bingen und Paracelsus. Ein wesentlicher Teil der TAM ist die Pflanzenheilkunde (siehe unten) mit all ihren Varianten.
Hildegard von Bingen (1098 - 1179) hat sich sehr intensiv mit Gesundheit und Krankheit auseinandergesetzt. Im Alter von acht Jahren kam sie als Klausnerin ins Benediktinerkloster Disibodenberg. Zeitlebens war sie eine glühende Verfechterin des christlichen Glaubens. Sie hatte die Gabe der Schau. Festgehalten sind ihre Visionen in diversen Schriften u. a. Causae et curae und Physica.
„Der Mensch hat Himmel und Erde und alles, was geschaffen ist, in seiner Gestalt vereinigt, und alles liegt in ihm verborgen.“ Für sie haben kosmisches Geschehen Einfluss auf den Menschen und auf den Zeitpunkt der Therapie. Das ganze Universum hat nur das Ziel, die Gesundheit des Menschen zu erhalten. Das war eine Überzeugung Hildegards, die sich durch alle ihre Werke zieht.
Maßhalten, beispielsweise im Essen und Trinken ist eine Voraussetzung, um gutes Blut und einen gesunden Körper zu haben. Heilung ist nach ihrem Verständnis ein ganzheitlicher Prozess, der sich auf vier Ebenen vollziehen muss: der göttlichen (religiösen), der kosmischen, der körperlichen und der seelischen Ebene.
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493 - 1541) war einer der berühmtesten Ärzte und Alchemisten seiner Zeit. Ersten Kontakt zur Medizin hatte er durch seinen Vater Wilhelm Bombastus von Hohenheim, Landarzt in Einsiedeln, Schweiz. Er war ihm auch später noch ein wichtiger Lehrer. Zwischen 1509 und 1515 studierte Paracelsus an verschiedenen deutschen, französischen und italienischen Hochschulen Medizin. Es folgten Wanderjahre bis 1524 durch ganz Europa.
Neben dem Hochschulwissen hörte er den Bauern zu, eignete sich das „Volkswissen“ an. Und er beobachtete die Natur. Die Signatur der Pflanzen wurde so ein wichtiges Merkmal für die Verordnung als Arznei. Viel Zeit verbrachte er mit der alchemistischen Bearbeitung von Naturstoffen. 1527 wurde Paracelsus Stadtarzt von Basel und somit gleichzeitig Dozent an der Universität. Durch seinen unkonventionellen Unterricht sowie seine Heilerfolge mit unüblichen Methoden machte er sich immer wieder Feinde unter den Ärzten und Apothekern. Er musste immer wieder fliehen. Viele seiner Bücher wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht, da es kaum noch Verleger wagten, seine Werke zu veröffentlichen. Am 24. September 1541 starb Paracelsus in Salzburg. Über die Todesursache herrscht Unklarheit.
Für Paracelsus waren folgende Erkenntnisse Grundlage der Heilkunst, wie er sie verstand:
- vier Elemente um den Charakter der Quintessenz der gereinigten Materie darzustellen
- es bedarf vier Säulen, um die Heilkunst auszuüben: Philosophie, Astrologie, Alchimie und Tugend
- die Lehre von den fünf Entien, d. h. fünf Krankheitsursachen. Daraus ergeben sich fünf Therapiewege, die sinnvoll miteinander kombiniert werden sollten und fünf Ärztetypen
- es gibt zwei Wege, eine Krankheit zu behandeln: sympathisch (nur sie kann zur Heilung führen) und antipathisch. Im weitesten Sinne kann man auch die Homöopathie von Samuel Hahnemann in dieses System einordnen.
- es gibt drei Prinzipien, die sich in der Materie manifestieren: Sal, Merkur und Sulfur.
Für ihn ist der Rhythmus des Tages, der Jahreszeiten, Werden und Vergehen der Schlüssel zur Gesundheit.